Bernshausen
Wirtschaftshaupthof (Curtis) des
Früh- bis Hochmittelalters
- Bernshausen. Im Hintergrund der Oberharz
Das Schwerpunktprojekt befasst sich mit der modellhaften Rekonstruktion
eines kleinräumigen, aber mehrhundertjährigen
geschichtlichen Vorganges am Zentralort einer lokalen Grundherrschaft
des Früh- bis Hochmittelalters und ihrer Nachfolgeanlagen des
Spätmittelalters. Untersucht wird ein
archäologisch-historisches Befundensemble, das sich -
verhältnismäßig ungestört durch
jüngere Überbauung, tiefgreifende
Überackerung und ältere Forschungsmaßnahmen
- mit obertägigen wie untertägigen Relikten im
Gelände am Ostufer des Seeburger Sees bei Bernshausen
(Untereichsfeld) erhalten hat. Das heutige Bild des kleinen,
ländlich geprägten Dorfes Bernshausen, Ortsteil der
Gemeinde Seeburg im Ldkr. Göttingen
(Südniedersachsen), steht im Gegensatz zur früheren
regionalen Zentralörtlichkeit im Zeitraum vom 7. bis 14.
Jahrhundert.
- Bernshausen. Luftbild der verlandeten mittelalterlichen
Insel
Nachweisbar ist eine Abfolge aus Besiedlungen, Siedlungsverlagerungen,
Befestigungen und deren funktionale wie topografische Wandlungen,
getragen von einem Wirtschaftshaupthof (in ottonischer Zeit als curtis
bezeichnet), in einem Milieu, das neben der
ländlich-agrarischen Ausrichtung auch herrschaftliche
Prägung zeigt. Der Befundkomplex beinhaltet mehrere,
überwiegend wüstgefallene ländliche
Siedlungsareale, das eingehegte bzw. befestigte Gelände der
Curtis, eine mehrphasige Flächenburganlage mit - heute -
sublacustren Teilbereichen, eine
Niederungsburg vom Typ Motte,
einen
Go-/Landgerichtsplatz, den Altdorfkern Bernshausens mit ehemaliger
romanischer Kirche und kommunaler Ortsbefestigung. Alle Anlagen sind
nach dem Niedersächsischen Denkmalschutzgesetz als
archäologische Kulturdenkmale erfasst und ausgewiesen.
In einem Schwerpunktprojekt hat die archäologische
Denkmalpflege des Landkreises Göttingen von 1980 bis 2001 bei
Bernshausen eine größere Anzahl von Prospektions-
und Ausgrabungsmaßnahmen durchgeführt. Ziel war von
Anfang an, im Rahmen einer forschungsorientierten Denkmalpflege und vor
dem Hintergrund der bis dahin erschlossenen ortsgeschichtlichen
Quellenlage die vorhandenen mittelalterlichen
Geländeüberreste zu erfassen, in ihrer zeitlichen
Tiefe wie topografischen Ausdehnung festzulegen und die Befund- und
Fundqualität zu prüfen. So bestand die Chance zu
einer interdisziplinären Untersuchung, deren Ergebnis mehr ist
als nur die Summe aus vielen Einzelstudien.
- Grabung im Bereich der Curtis
Methodisch wurde auf verschiedenen Wegen vorgegangen. So erfolgte eine
permanente Oberflächenprospektion, mit den Mitteln der
Feldbegehungen, Oberflächenfundkartierungen, Einmessung der
obertägigen Befunde, Luftbildarchäologie,
gestützt durch Flurnamenerfassungen, Baustellenbetreuungen
einer Vielzahl von Erdarbeiten, Anlage von Bohr- und
Nivellementprofilen. Sie mündetete bereits früh in
eine systematische Landesaufnahme auch der umgebenden Region - mit
hervorragendem Erfolg. Vorrang kommt aber den zwischen 1982 und 1997
durchgeführten Grabungsmaßnahmen zu, die als
Flächenfreilegungen, Probeschnitte wie auch als
Profilaufschlüsse angelegt wurden. Außerdem fanden
drei taucharchäologische Untersuchungen statt.
- Knochenkamm-Fragmente und Bronzenadel aus dem Brunnen in
der Curtis
Neben den allgemeinen archäologischen Parametern wie
Baubefunden und Siedlungsabfällen, die in der Regel gute
Erhaltungsbedingungen aufweisen, stand durch die Verzahnung mit der
wechselhaften Verlandungs- und Transgressionsgeschichte des Seeburger
Sees die günstige Möglichkeit der
interdisziplinären naturwissenschaftlichen Begleitung des
Projektes zur Verfügung. Hervorzuheben ist die vor kurzem
publizierte pollenanalytische Untersuchung eines Bohrprofils der
Sedimentation des Lutterangers, eines kleinen benachbarten Sees bei
Bernshausen, die für die archäologisch erschlossene
Besiedlungsgeschichte eine komplementäre kleinregionale,
ungewöhnlich differenzierte Vegetationsgeschichte vom
frühen Holozän bis zum Spätmittelalter
bereitstellt. Von Bedeutung ist ebenso die Rekonstruktion der
örtlichen historischen Topografie, die infolge
salztektonischer Subrosionsvorgänge insbesondere bei
Bernshausen erhebliche Veränderungen - mit
Seevergrößerungen, Halbinselüberflutung,
Herausbildung einer großen Insel, Wiederverlandungen -
nachzeichnen lässt, gerade zwischen Früh- und
Spätmittelalter.
- Curtis (2) und Fluchtburg (3) auf der ehemaligen Insel.
Hochmittelalter (10.-12. Jhdt.)
Auf der anderen Seite ist auch eine nicht uninteressante historische
Quellenlage gegeben, die mit ersten Nachrichten über
herrschaftliche Präsenz bereits im 9. und frühen 11.
Jahrhundert einsetzt und seit dem frühen 13. Jahrhundert die
Entwicklungen der Grundherrschaften und Besitzrechte, des Go- und
Landgerichtes, des Dorfes und der Kirche widerspiegelt.
Alle angeführten Methoden - die naturwissenschaftliche
Landschaftsrekonstruktion, paläobotanische und zoologische
Untersuchungen, die archäologische Arbeit im Gelände
wie in der Auswertung, die Neubearbeitung der historischen Quellen, die
volkskundliche Analyse - wurden in diesem Projekt
zusammengeführt. Das Ergebnis ist eine Mikrostudie im Rahmen
der weiteren Landesgeschichte: in einer durch natürliche Seen
und hervorragende Böden bevorzugten Landschaft entsteht, auf
der Basis einer seit dem Frühneolithikum ununterbrochenen
Besiedlungsgeschichte, bereits im Frühmittelalter (7. Jhdt.)
am Ostufer des Seeburger Sees eine befestigte herrschaftliche
Ansiedlung, die sich im Hochmittelalter (9. - 12. Jhdt.) zu einem
agrarischen Villikationshaupthof mit spezialisierten Handwerksbetrieben
und beigeordneter Fluchtburg innerhalb einer Kleinsiedlungslandschaft
entwickelt; ein tiefgreifender Umbruch im 12. Jahrhundert mit
partiellen Wüstungsvorgängen lässt als
Nachfolgeanlagen eine Niederungsburg mit niederadligen Bewohnern, einen
eingehegten Gogerichtsplatz sowie eine Platzverlegung der
ländlichen Hauptsiedlung und Zusammensiedlung bisheriger
Streuhofstellen in Gestalt der Neugründung des Dorfes
Bernshausen mit Pfarrkirche, zentralem Kirchhof und Dorfbefestigung
entstehen.
- Niederungsburg (1), Landgerichtsplatz (2) und
Dorfbefestigung von Bernshausen im Spätmittelalter
Zusammenfassende
Literatur in Auswahl:
K. Grote, Siedlungs- und burgenarchäologische Befunde des
Früh- und Hochmittelalters bei Bernshausen am Seeburger See,
Kr. Göttingen. Curtis und Burg. - Nachrichten aus
Niedersachsens Urgeschichte 54, 1985, 77-118.
K. Grote, Bernshausen im Mittelalter. Zur Besiedlungs- und
Burgengeschichte eines Zentrums in der Goldenen Mark. -- Duderstadt
1986.
K. Grote, Archäologie eines frühmittelalterlichen
Zentralortes: Bernshausen im Untereichsfeld. - Führer zu
archäologischen Denkmälern in Deutschland, Band 17:
Stadt und Landkreis Göttingen. Stuttgart 1988, 62-84.
K. Grote, Archäologische Landesaufnahme im Gebiet des
Seeburger Sees, Luttersees und ehemaligen Westersees im Untereichsfeld,
Ldkr. Göttingen. - Neue Ausgrabungen und Forschungen in
Niedersachsen 21, 1999, 13-136.
K. Grote, Bernshausen am Seeburger See. Archäologie und
Geschichte eines mittelalterlichen Zentralortes. Unter Mitarbeit und
mit Beiträgen von H.-J. Frisch, G. Keindorf, G. Pischke, U.
Schmölcke, E. Schröder, G. Wolf. - Beiheft 16 der Zeitschrift
für Archäologie des Mittelalters, hrsg. von W. Janssen, H.
Steuer und G. Binding. Bonn 2003.
13. 10. 2001