Wüstungen
Untersuchungen auf mittelalterlichen Wüstungen
- Harste. Grubenhaus des 10. Jhdts.
Die zahlreichen mittelalterlichen Ortswüstungen im
Göttinger
Kreisgebiet sind seit 1980 permanentes Arbeitsfeld der
archäologischen Denkmalpflege des Landkreises
Göttingen.
Über die Routine der Schutz- und Pflegebemühungen
sowie der
Prospektionsarbeiten (Kartierungen, Fundabsammlungen, Luftbildanalysen
u.a.) hinaus haben an mehreren Wüstungen intensive
archäologische Geländearbeiten, insbesondere
Ausgrabungen
stattgefunden. Diese ermöglichen im Ergebnis weitgehende
Einblicke
in die einstigen ländlichen Siedlungsstrukturen, in Hausbau
(Holz-/Lehm- und Steinbau), Handwerk, Wirtschaftsweise. Die Befunde
umfassen die Zeiträume von der Merowingerzeit (7. Jahrhundert)
bis
in das Spätmittelalter (um 1400).
Die wichtigsten Grabungen:
Harste, Gde. Bovenden
- Rekonstruktion eines Grubenhauses von Harste
Partielles Wüstungsareal am Rande der Altdorflage, vermutlich
Teil
eines urkundlich erwähnten hochmittelalterlichen
Wirtschaftshaupthofes (Curtis). Im Zuge des Baus einer
Umgehungsstraße erfolgte 1984/85 eine
Flächengrabung.
Freigelegt wurden Grubenhäuser, einfache Gruben,
Handwerksüberreste (Eisenverarbeitung, Knochenschnitzerei,
Weberei). Funde: Keramik (Kumpf-, ältere Kugeltopfkeramik,
rauwandige Drehscheibenwaren, Webgewichte), Eisenobjekte (Messer),
Knochengeräte (Schlittknochen, Dreilagenkammreste),
Wetzsteine,
Tierknochen, Kulturpflanzenreste. Der Zeitraum umfasst die Spanne vom
7. bis 11. Jahrhundert.
+Mechelmeshusen bei Klein Schneen, Gde. Friedland
- Keramikgefäße aus der
Wüstung Mechelmeshusen
Zwei größere Flächenausgrabungen von
zusammen rund
3.500 qm auf der Ortswüstung in den Jahren 1987 und 2001,
bedingt
durch Straßenbau. Die freigelegten Befunde stammen aus dem
10./11. Jahrhundert (Grubenhäuser, einfache Gruben,
Eisenverhüttungsanlagen), dem 12. Jahrhundert (flach
eingetiefte
Hausgruben, Reste von Schwellrahmenbauten) und dem 13. Jahrhundert
(Hausreste, Grabenwerk). Funde: Keramik der älteren
Kugeltopfware,
der rot bemalten hellen Irdenwaren, der rauwandigen Drehscheibenwaren,
graue spätmittelalterliche Irdenware, frühes
Steinzeug;
Buntmetallobjekte (Scheibenfibeln, Schelle, Ahle u.a.),
Eisengerät
(Messer, Gürtelschnallen, Hufeisen u.a.), Knochenobjekte
(Kammfragmente), Glasperlen, Wetzsteine, Tierknochen und
Kulturpflanzenreste.
Seulingen
- Wüstungsgrabung bei Seulingen. Silogrube des 10.
Jhdts.
Zwei Flächenausgrabungen 1992 und 1997 auf zwei
Wüstungsbereichen (nördlich und südlich des
Suhlabaches
gegenüberliegend) am östlichen Altdorfrand, bedingt
durch
Überbauung. Nachgewiesen sind, neben Befunden des
Frühneolithikums, der älteren vorrömischen
Eisenzeit und
der jüngeren römischen Kaiserzeit/frühen
Völkerwanderungszeit, in der Hauptsache Siedlungsreste des 9.
bis
12. Jahrhunderts: Grubenhäuser, Pfostenbauten, Silogruben,
Grabenwerk. Funde: Keramik (Kumpfkeramik, ältere
Kugeltopfware,
thüringische wellenverzierte Standbodenkeramik, rauwandige
Drehscheibenware, rot bemalte helle Irdenwaren), Objekte aus
Buntmetall, Eisen und Glas, Wetzsteine, Tierknochen und
Kulturpflanzenreste.
Dransfeld
- Luftbild der Grabungsfläche im "Alten Dorf" in
Dransfeld
Flächenausgrabung 2001 von rund 2.500 qm im "Alten Dorf", dem
bislang nicht überbauten präurbanen Siedlungskern am
Rande
der Altstadt, bedingt durch Überbauung. Dichter Besatz von
Grubenbefunden des 7. bis 12. Jahrhunderts, dazu Bauschutt des 13./14.
Jahrhunderts. Grubenhäuser des 7. Jahrhunderts mit
Keramikbruch,
Webgewichten, Geräten aus Eisen, Knochen und Geweih sowie
reichhaltigem faunistischem Material (überwiegend
Haustierreste);
Gruben und Grubenhäuser (einmal mit Steinmauerung) aus dem 10.
bis
12. Jahrhundert, dazu Teilabschnitt einer bis 2 m breiten
Zweischalenmauer. Die Befunde sind vermutlich Teil einer esikonischen
Curtis, die 960 an das Reichsstift Hilwartshausen (Oberweser bei Hann.
Münden) vergeben wurde.
+Vriemeensen bei Meensen, Gde. Scheden
- Steinturm I in Vriemeensen
Überackerte Ortswüstung mit feinkartierten einzelnen
Siedlungsbereichen vom 9. bis 14. Jahrhundert, mit randlich erhaltenem,
grabenumschlossenem Steinwerk der Spätgotik (am Forsthaus
Brackenberg), im nahen Umkreis ein Gerichtsplatz und die
spätmittelalterliche Höhenburg Brackenberg. Im
Wüstungsgelände als weitere Steinbauten die Reste der
Pfarrkirche St. Laurentius und zweier profaner Steinwerke des
urkundlich überlieferten örtlichen Niederadels.
Aufgrund denkmalpflegerischer Notwendigkeit erfolgten von 1994 bis 1999
in vier Kampagnen die Ausgrabungen der Kirche und der Steinwerke.
- Steinwerk am Bau V in Vriemeensen
Bau I: Fundament eines rund 9,6 x 12 m großen
Steinturms,
oberstes Geschoss wohl in Fachwerkbauweise, erbaut Mitte 12.
Jahrhundert, Abbruch im späteren 14. Jahrhundert. Adeliges
Wohnmilieu mit Kachelofenresten und Kleinfunden (Reitersporn,
gepanzerter Handschuh u. a.).
Bau V: Doppelhaus, und zwar mit Vorderhaus aus
Fachwerk/Pfostenkonstruktion und Hinterhaus als unterkellertes
Steinwerk. Errichtung ca. Mitte 12. Jahrhundert, Abbruch in der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts. Zahlreiche
Gefäßfragmente
im Steinwerkkeller lassen auf eine ehemalige Speicherfunktion
schließen.
- Apsis der Wüstungskirche XV in Vriemeensen
Bau XV: Fundamente und Ausbruchgräben der
Dorfkirche St.
Laurentius. Romanischer Bau mit Langhaus, Westturm, Rechteckchor und
Halbrundapsis; dazu ein späterer Anbau als nördliches
Seitenschiff, mit bevorrechtigter Grablege mehrerer Personen vermutlich
des örtlichen Adels (Herren von Meensen). Länge der
Kirche
21,5 m, errichtet im späten 12. Jahrhundert, abgebrochen im
14.
Jahrhundert. Im Bauschutt Rest eines bemalten Glasfensters sowie -
neben Dachpfannen vom Typ Mönch und Nonne -
Biberschwanzpfannen
mit weißer Engobierung. Als besonderer Fund
größeres
Fragment eines eisernen Plattenharnischs.
Hann. Münden
- St. Laurentius in Altmünden
Von 1993 bis 1996 Ausgrabung der Kirchenruine St. Laurentius, dem
einzigen erhaltenen Baurest der früh- bis
hochmittelalterlichen
Vorgängersiedlung ("Altmünden") von Hann.
Münden, rund
600 m weserabwärts der Altstadt. Fundamente und vorhandene
obertägige Außenwandteile ermöglichten die
Rekonstruktion einer zweiphasigen Baugeschichte:
1. romanischer Saal (Massivbau) mit eingezogenem Rechteckchor
(Fachwerk), darin Fundamentblock eines Altars, Länge insgesamt
14
m, im Freien östlich anschließend mehrere
Kindergräber;
2. im 13. Jahrhundert Erneuerung des Chores, nun als massives
frühgotisches Rechteck in langgestreckter Form, darin
Fundament
des Altars, Kirchenlänge insgesamt 19,2 m. In zentraler
Position
im beibehaltenen alten Saalbau Fund eines
spätmittelalterlichen
Körpergrabes.
Weitere Wüstungsuntersuchungen im Göttinger
Kreisgebiet:
Reinhausen
- Steinrelief aus der Wüstungskirche von Bettenrode
bei Reinhausen
Wüstung
+Bettenrode im
Reinhäuser Wald. Entdeckung
der
kleinen Siedlung in Spornlage mit felsigen Steilhängen in der
Nähe des heutigen Reiterhofes Bettenrode.
Überlieferung seit
1100, wüst kurz nach 1500. Abschnittsbefestigung durch Wall
und
Graben. Im Innenraum im Waldboden Keramikreste, Hüttenlehm und
massive Gebäudefundamente, im Zentrum der Schutthügel
der
geosteten Kirche, erkennbar ist ein einschiffiger Saalbau mit
halbrunder Apsis und Westturm, Länge ca. 18 - 20 m; umlaufend
die
Kantenböschung des mutmaßlichen kreisrunden
Kirchhofes.
Reinhausen
Wüstung
+Heddenhusen
im oberen Reintal im Reinhäuser
Wald.
Hoch- bis Spätmittelalter (auch Eisenzeit). Kartierungen von
gleichzeitiger Streubesiedlung im Umkreis von rund 400 m.
Bernshausen, Seeburg, Seulingen, Germershausen, Wollbrandshausen
Als Ergebnis einer mehrjährigen archäologischen
Landesaufnahme rings um den Seeburger See und Luttersee Lokalisierung
von mehreren kleinen Siedlungsbereichen, wüstgefallen im
späteren 12. Jahrhundert/um 1200. Auf zwei Plätzen
archäologische Kleinuntersuchungen, u. a. mit
Grubenhausbefunden.
Mutmaßliche
Streubesiedlung rings um den früh- bis
hochmittelalterlichen Wirtschaftshaupthof (Curtis) von Bernshausen.
Zusammenfassende Literatur in Auswahl
K. Grote u. S. Schütte (Hrsg.), Führer zu
archäologischen Denkmälern in Deutschland, Band 17:
Stadt und
Landkreis Göttingen. Stuttgart 1988.
K. Grote, Frühmittelalterliche Befunde zur Siedlungs- und
Wirtschaftsgeschichte in Harste, Kreis Göttingen. - Neue
Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen 19, 1991, 173-228.
K. Grote, Die Kirche St. Laurentius in Altmünden.
Archäologische und baugeschichtliche Untersuchung der
Kirchenruine
in der Vorgängersiedlung Hann. Mündens. - Duderstadt
1996.
K. Grote, Siedlungen und Burgen, Haupthöfe und Kirchen. Das
Mündener Gebiet zwischen 800 und 1100. - In:
Gegraben-Gefunden-Geborgen. Archäologische Spurensuche an
Werra,
Fulda und Weser. Hann.Münden 1998, 14-42.
S. Hesse, Ausgrabungen an der romanischen Wüstungskirche in
Vriemeensen bei Meensen, Ldkr. Göttingen. - Göttinger
Jahrbuch 44, 1996, 7-14.
S. Hesse, Die mittelalterliche Siedlung Vriemeensen im Rahmen der
südniedersächsischen Wüstungsforschung unter
besonderer
Berücksichtigung der Problematik von Kleinadelssitzen. Diss.
Phil.
Fak. Universität Göttingen 2000 (im Druck 2002).